[Klaus Krüger, Erstveröffentlichung 2003 in der SSC-Vereinszeitung]
Vor einigen Jahren wurde im Zusammenhang mit der Planung neuer Baugebiete in Satzvey außer dem allgemein bekannten Flurnamen „Am Pützchen“ ein weiterer Flurname genannt, der selbst alteingesessene Bürger in Erstaunen setzte. Als weiteres mögliches Baugebiet wurde nämlich eine Flurbezeichnung „An der Leichenraste“ genannt.
Das Gewann, das diese Bezeichnung trägt, liegt nordöstlich der Landstraße von Satzvey nach Firmenich und grenzt an diese von der Einmündung des Grenzweg genannten Wirtschaftsweges (am Straßenkreuz) bis zum auf der Wasserscheide früher in die Landstraße einmündenden „Thalweg“. Die Reste dieser nicht mehr vorhandenen einstigen Umgehungsstraße von Satzvey sind im Einmündungsbereich noch sichtbar.
Die Flur „An der Leichenraste“ verbreitet sich nach Nordosten hin. Dort stößt sie an die Fluren „Im Obersten Tal“ und „Im Untersten Tal“. Südlich grenzt sie an die Flur „Der Acker“, die bis zum „Firmenicher Pfädchen“ reicht, das hinter den Gärten der Josefshöhe verläuft.
Die Flur „An der Leichenraste“ war jahrzehntelang Grubengelände der Satzveyer Ton- und Kaolinwerke (Sporkenbach). Es wurde nach und nach zum größten Teil rekultiviert und ist heute wieder Ackerland.
Satzvey und Firmenich, eine Kirchengemeinde
Es stellt sich nun aber die Frage, wie die Flur zu ihrem Namen gekommen ist. Dazu muss man wissen, dass die Ortschaft Firmenich, so weit die schriftliche Überlieferung zurückreicht, zur Kirche Satzvey gehörte.
Der erste schriftliche Nachweis hierfür findet sich in dem ältesten Dokument des Kirchenarchivs Satzvey, einem in Leder eingebundenen Pergamentbuch, in dem in vier Verzeichnissen die Einnahmen der Kirche in Satzvey von 1537 an aufgeführt sind. Die Einnahmen bestanden sowohl aus wiederkehrenden Abgaben als auch aus der Pacht für Kirchenland, die die einzeln aufgeführten Einwohner von Satzvey und Firmenich an die „Kyrspels Kyrchene zu Saetz Veye“ (Kyrspel = Kirchspiel; Pfarrbezirk) zu leisten hatten. In dem Verzeichnis ist vermerkt, dass es sich um die Erneuerung eines alten Registers handelte. Somit bildeten die Ortschaften Satzvey und Firmenich schon lange vor dem Jahre 1537 eine Kirchengemeinde, sehr wahrscheinlich seit der Errichtung einer Kirche in Satzvey im Mittelalter.
Erst im Jahre 1903 wurde Firmenich von Satzvey nach Obergartzem umgepfarrt, und erst seitdem werden die Toten aus Firmenich in Obergartzem beigesetzt. Vorher mussten die Firmenicher Einwohner ihre Verstorbenen auf dem Friedhof bei der Kirche in Satzvey beerdigen.
Leichenzug von Firmenich nach Satzvey
Die Särge, damals sagte man Totenladen, wurden nicht, wie man hätte annehmen können, von Firmenich zum Satzveyer Friedhof gefahren, sondern nach jahrhundertelanger Gewohnheit auf dem weiten Weg zum Nachbarort im Leichenzug getragen. Selbstverständlich mußten bei diesem mühseligen Unterfangen die Sargträger auch einmal Rast machen und sich wohl auch ablösen. Da die Firmenicher ihre Toten über die „gemeine straß“, die heutige Landstraße, zur letzten Ruhe geleiteten, rasteten sie immer, nachdem sie die Höhe erreicht hatten. Vorher mussten sie den anstrengenden Anstieg im „Veyer Berg“ überwinden. Die Steigung betrug bis zur Wasserscheide von Firmenich her immerhin etwa 35 Höhenmeter. Die Rast an immer der gleichen Stelle war auch eine aus dem Mittelalter überlieferte Gewohnheit, von der unter keinen Umständen abgewichen werden durfte.
Erst von der Franzosenzeit an, also im 19. Jahrhundert, nachdem die verkrusteten Handlungsweisen etwas aufgeweicht worden waren, scheint man dazu übergegangen zu sein, die Särge zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Flur, an der vorher angehalten wurde, aber längst ihren Namen erhalten. Einer Urkunde aus dem Jahre 1783 ist zu entnehmen, dass die Toten in diesem Jahr noch getragen wurden.
Alte Landstraße und Wegekreuz
Die Straße, über die die Firmenicher ihre Verstorbenen zur letzten Ruhe geleiteten, war, wie bereits erwähnt, die heutige Landstraße. Diese verlief von Firmenich bis etwa zu dem zwischen Satzvey und Firmenich gelegenen Industriebetrieb „Feuerfest Siegburg GmbH“ gleich mit der heutigen Straße, aber beim Anstieg im „Veyer Berg“ machte der alte Weg in nördlicher Richtung einen kleinen Bogen und führte unmittelbar vorbei an der Marienkapelle und näherte sich dann vor der Höhe wieder der jetzigen Trasse. Am heutigen Wegekreuz war er von der jetzigen Landstraße nur noch etwa 15 Meter entfernt.
Dort stand am früheren Weg ein stark verwittertes Wegekreuz gegenüber dem heutigen Kreuz. Es zeigte den genauen damaligen Straßenverlauf an. Das alte Kreuz wurde erst Ende des vorigen Jahrhunderts von Rowdys zerstört. Einige Reste des zerstörten Kreuzes rettete der im vorigen Jahr verstorbene Prälat Gerhard Küpper vor der Vernichtung und lagerte sie im Hofbereich seines gegenüberliegenden Hauses. Dort befinden sie sich auch heute noch. Es macht schon betroffen, dass Denkmäler, die mehr als ein halbes Jahrtausend überdauerten, in unserer Zeit zerstört werden.
[Klaus Krüger]
Original (PDF)