[Klaus Krüger, Erstveröffentlichung 2000 und 2001 in der SSC-Vereinszeitung]
Der Jahrhundert- und zugleich auch Jahrtausendwechsel ist zwar Vergangenheit geworden. Dennoch soll das einmalige Erlebnis noch Anlass für einen Rückblick sein, in dem auf die Lebensverhältnisse der Menschen in Satzvey zunächst vor rund 200 Jahren und später auch vor rund 100 Jahren näher eingegangen wird. Durch die Erkundung der damaligen Verhältnisse wird die Voraussetzung für interessante Vergleiche mit der heutigen Zeit geschaffen.
Die allgemeinen Verhältnisse zur Franzosenzeit
Wenn wir zuerst zurückblenden in die Zeit um das Jahr 1800, geschieht dies, weil die Umwälzungen in allen Lebensbereichen, die damals ihren Anfang nahmen, die Zeit vorbereiteten, in der wir heute leben. Die Französische Revolution hatte das Gesicht ganz Europas verändert. Nicht nur die Grenzen verschoben sich, auch die Struktur der Länder erhielt neue Formen. Alte Reiche und Herrschaften wurden zerschlagen. In starke Bedrängnis geriet auch die Kirche. Die Devise “Weg von Rom” und “Weg von Gott” fand Eingang in den ganzen europäischen Raum. Am ärgsten überzogen die Wirren das linksrheinische Gebiet, das Preußen im Landfrieden von Basel 1795 an Frankreich abtrat. Die französische Herrschaft versuchte die Revolutionsideen von der “Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit” den Menschen in dem eroberten Gebiet einzuflößen. Dies gelang allerdings nur teilweise.
Mit der französischen Revolution hatte eine tausendjährige Geschichte ihr Ende gefunden. Die alte Lehensherrschaft wurde aufgehoben. Bis zum Jahre 1794 hatten in der Eifel jahrhundertelang zahlreiche Grafschaften, Herrschaften und Unterherrschaften existiert und der Adel wie auch die Kirche Steuerfreiheit genossen. Viele Bauern mussten Abgaben an ihre Herrschaften entrichten und manchmal auch noch Frondienste leisten. Eine Unzahl von Zöllen und Pass-Schwierigkeiten zwischen den einzelnen Landesherren hatten Handel und Verkehr in der Eifel erschwert.
Im öffentlichen Leben rückte nun der Bürger vor. Die Leibeigenschaft wurde abgeschafft und Zünfte und Innungen wurden aufgelöst. Eine neue Schulordnung wurde erlassen und der Religionsunterricht nach dem Napoleonischen Katechismus erteilt. Das französische Recht, das im Code Napoléon festgelegt war, wurde als allgemeines Gesetzbuch auch im Rheinland eingeführt und behielt hier noch ein Jahrhundert lang seine Gültigkeit. Lag früher die Gerichtsbarkeit bei den Grafen, so entstanden jetzt Gerichtsämter mit Beisitzern aus dem Volke. Jedes Kanton hatte ein Friedensgericht, jedes Departement ein Landgericht oder Tribunal für Straf- und Zivilsachen. Die Gerichtssprache war Französisch.
Säkularisation
Der Besitz der Bistümer, Kirchen und Klöster wurde konfisziert. Leider ging viel altes Kulturgut zugrunde. Die Zahl der in unserer Heimat aufgehobenen Klöster lässt sich hier kaum angeben. Man hat die Säkularisation den schwersten Schlag genannt, den die katholische Kirche in Deutschland jemals traf. Die von den Franzosen eingeführten neuen Feste des Ackerbaus, der Freiheit, der Jugend, der Eheleute und der Greise konnten aber die alten religiösen Gepflogenheiten nicht verdrängen. Auch die durch Verordnung vom 1.5.1798 eingeführte Zivilehe löste bei der Bevölkerung zunächst Befremden aus. Von diesem Zeitpunkt an mussten Personenstandsregister (Geburts-, Heirats- und Sterberegister) geführt werden.
Das Konkordat von 1801 brachte wieder ein höheres Maß an Ordnung in das kirchliche Leben. Als Ersatz für den geraubten Kirchenbesitz wurde von nun an das Gehalt für die Geistlichen aus der Staatskasse bezahlt. Die Bistümer wurden neu eingeteilt. Köln war nicht mehr Bischofssitz und Trier nicht mehr Erzbistum. Aus den Departements der Roer, des Rheines und der Mosel entstand das Bistum Aachen.
Departements > Arrondissements > Kantone > Mairien
In Satzvey hatten die Bewohner des Ortes die Nachricht von der Französischen Revolution schon 1792 vernommen und auch einiges über die vielversprechenden Ideale “Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit” gehört. Anfang Oktober 1794 erreichten die ersten französischen Truppen Satzvey und zogen von hier weiter nach Münstereifel. Bis zum Ende des Monats hatten sie bereits alle linksrheinischen Gebiete besetzt und damit begann die fast zwanzig Jahre währende Periode der französischen Verwaltung.
Die ersten Jahre der französischen Besatzungszeit waren gekennzeichnet durch Ereignisse, die bei der Bevölkerung die Hoffnungen auf künftige gerechtere und freie Verhältnisse und Zustände recht bald schwinden ließen. Korruption und Misswirtschaft breiteten sich aus. Den Missständen versuchte das Direktorium, die Regierung der französischen Republik, mit ersten Maßnahmen gegen Ende des Jahres 1797 zu begegnen. Es ernannte am 4.11.1797 einen Generalkommissar für die eroberten linksrheinischen Gebiete, den es mit besonderen Vollmachten ausstattete. Es war der Richter am französischen Kassationsgerichtshof F. J. Rudler. Seine besondere Aufgabe bestand darin, in diesen Gebieten die Staatsverwaltung nach französischem Vorbild zu organisieren. Bereits am 23.1.1798 erließ er einen Beschluss über die Gliederung der linksrheinischen Gebiete in Departements und Kantone. Dieser bildete die Grundlage für die weitere Ordnung der allgemeinen staatlichen Verwaltung. Die von Rudler eingeleiteten Maßnahmen fanden ihren Abschluss in der von Napoleon nach seinem Staatsstreich (9.11.1799) erlassenen “Verwaltungsordnung für das europäische Frankreich”, die in den linksrheinischen Gebieten am 14.5.1800 in Kraft trat. Durch sie entstanden die “Mairien” (= Bürgermeisterämter) als kleinste Einheiten der staatlichen Verwaltung. Die zur Führung der Geschäfte der “Mairien” vom Departements-Präfekten berufenen “Maires” (Bürgermeister) nahmen ihre Tätigkeit anfangs der zweiten Hälfte des Jahres 1800 auf.
Aufgaben der Mairien
Eine der vornehmlichen Aufgaben der “Mairie” bestand darin, nach den Weisungen des Präfekten die Verwaltungsgeschäfte zu führen. Die in der zweiten Hälfte des Jahres 1800 geschaffene Mairie Satzvey bestand aus den Orten Satzvey, Firmenich, Obergartzem und Wißkirchen. Die Leitung der Mairie Satzvey wurde dem Bewirtschafter des Burghofes Heinrich Grouven übertragen, der in einer Bevölkerungsliste von 1801 als Halbwinner (Pächter gegen die Hälfte des Ertrages) bezeichnet wurde.
Für die französische Verwaltung war es von besonderer Bedeutung, einen Überblick über die Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu gewinnen. Zu diesem Zweck entstanden recht bald nach Beginn der Tätigkeit der “Maires” (Bürgermeister) sogenannte Bevölkerungslisten, in denen sämtliche Einwohner der “Mairien” (Bürgermeistereien), getrennt nach “communes” (Gemeinden), mit ihren Namen, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, dem ausgeübten Beruf, der Stellung zum “Haushaltungsvorstand” und der Dauer ihres Aufenthalts in der Ortschaft nachzuweisen waren. Derartige Bevölkerungslisten entstanden zwar auch schon vor der Einrichtung der Mairien; sie erhielten sich jedoch nur bruchstückhaft. Ihnen haftete auch der Mangel an, ungenau und unvollständig zu sein. Die an dem festgesetzten Erhebungstermin (5.4.1801) von den Maires zu erstellenden Bevölkerungslisten überlieferten sich vollständig für alle Ortschaften des heutigen Stadtbereichs Mechernich. Sie sind die erste Momentaufnahme der Einwohnerschaft im jetzigen Stadtgebiet. Für vorausgegangene Zeitpunkte vor der Eroberung der linksrheinischen Gebiete durch die Franzosen gibt es solche Listen nicht. Die Originale der Bevölkerungslisten befinden sich im Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf.
Aus den in diesen Listen verzeichneten Daten und Fakten lässt sich erstmals eine Übersicht über die Bevölkerungsstruktur im heutigen Stadtgebiet am Anfang des 19. Jahrhunderts gewinnen. Ihre Gliederung nach Ortschaften erlaubt es, die Strukturen jeder einzelnen örtlichen Gemeinschaft zu erkunden. Auch für die familienkundliche Forschung können die Bevölkerungslisten von großem Nutzen sein.
Die besonderen Verhältnisse in Satzvey zur Franzosenzeit
Die Bevölkerungslisten der Orte des Stadtgebiets Mechernich hat Norbert Leduc in den Jahren 1987 und 1988 bearbeitet und in der ständigen Beilage zum Bürgerbrief der Stadt Mechernich veröffentlicht. Die die Ortschaft Satzvey betreffenden Angaben habe ich diesen Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv entnommen.
Wegen großer Unterschiede in der Anlage der einzelnen Bevölkerungslisten verzichtete Leduc auf ihre wörtliche Wiedergabe. Stattdessen hat er die in den Listen enthaltenen Daten und Fakten für die Wiedergabe aufbereitet. Anstelle der französischen Formen der Vornamen erscheinen in der Wiedergabe die deutschen Formen; anstelle der französischen Berufsbezeichnungen die entsprechenden deutschen.
Burg, Mühlen, Pfarrhaus – die wichtigsten Hausnummern
Der Satzveyer Maire Heinrich Grouven, Pächter auf der Satzveyer Burg, verfasste die Bevölkerungslisten für seinen Bereich (Satzvey, Firmenich, Obergartzem, Wißkirchen) in deutscher Sprache. Er fügte in das vorgegebene Ordnungsschema die Hausnummer ein. Mit der von ihm bewohnten Burg beginnt die Liste für die ehemalige Gemeinde Satzvey. Die Hausnummer 1 erhielt die Burg mit dem dazugehörigen Hof wohl deshalb, weil sie das dominante Gebäude in der Ortslage war. Zum Areal der Burg gehörte auch eine Getreidemühle. Sie befand sich entgegen anderslautenden früheren Behauptungen in dem Bereich, in dem jetzt noch die Ende des 19. Jahrhunderts errichtete neue Mühle steht, nur auf der anderen Seite des ehemaligen Mühlenbaches. Das entlang des Mühlenbaches stehende Gebäude reichte bis zur Einmündung der heutigen Straße Am Pfarrhaus in die Straße an der Burg. Die schmale Verbindungsstraße von der Kirche zur Straße An der Burg gab es damals noch nicht. In einem weiteren zur Mühle gehörenden Gebäude an der jetzigen Straße An der Burg dürfte der in der Bevölkerungsliste unter Hausnummer 2 aufgeführte Müller Engelbert Keller mit Ehefrau und 6 Kindern gewohnt haben. Von den beiden Gebäuden ist nichts mehr zu finden.
Außer der Getreidemühle gab es noch eine Ölmühle. Sie befand sich weit abseits des Dorfes an einem vom Veybach abzweigenden Wassergraben, ungefähr gegenüber dem Bahnhof auf der anderen Bachseite. Die Ölmühle war unbewohnt und erhielt wohl deshalb keine Hausnummer. Sowohl der Mühlengraben als auch das Gebäude sind nicht mehr vorhanden.
Das 1744 errichtete Pfarrhaus (Pastorat) erhielt die Hausnummer 5. In ihm wohnte Pfarrer Johann Nücken mit seiner Schwester. Küster und zugleich “Schuhlmeister” war der 65-jährige Witwer Wilhelm Eßer. Er wohnte in dem an der Einmündung der heutigen Firmenicher Straße in die Gartzemer Straße gelegenen Haus, das die Hausnummer 34 bekam.
Über weitere um 1800 bereits stehende und bis in unsere Zeit erhalten gebliebene Häuser soll in einem späteren Beitrag zur Geschichte des Dorfes berichtet werden.
Die am Tag der Erfassung in Satzvey tätigen Gesindepersonen sind am Schluss der Bevölkerungsliste aufgeführt worden. Sie wurden den Haushalten zugeordnet, in denen sie arbeiteten. Hier wurden sie separat nachgewiesen und blieben bei der statistischen Auswertung der Listeninhalte durch Leduc unberücksichtigt.
Satzvey 1801 – Zahlen, Daten, Fakten
- Am Erhebungsstichtag, dem 5.4.1801, standen in Satzvey 50 Häuser und der Ort zählte 190 Einwohner.
- Von der ortsansässigen Bevölkerung waren 93 (48,95 %) männlichen und 97 (51,05 %) weiblichen Geschlechts.
- 78 Einwohner (41,05 %) waren verheiratet; 7 Einwohner (3,68 %), und zwar 2 männliche (28,57 %) und 5 weibliche (71,43 %), waren verwitwet.
- 105 Einwohner (55,27 %) und zwar 52 männliche (49,52 %) und 53 weibliche (50,48 %) waren ledig. Auffallend ist die große Zahl der unverheirateten Personen.
Die Altersgliederung der Einwohner, zu Altersgruppen zusammengefasst, zeigt folgendes Bild:
Altersgruppen | männliche | weibliche | insgesamt |
---|---|---|---|
bis 12 Jahre einschließlich | 32 (34,41) | 36 (37,11) | 68 (35,79) |
13 bis 18 Jahre | 11 (11,83) | 8 (8,25) | 19 (10,00) |
19 bis 29 Jahre | 12 (12,90) | 17 (17,53) | 29 (15,26) |
30 bis 39 Jahre | 12 (12,90) | 14 (14,43) | 26 (13,68) |
40 bis 49 Jahre | 11 (11,83) | 9 (9,28) | 20 (10,53) |
50 bis 59 Jahre | 10 (10,75) | 9 (9,28) | 19 (10,00) |
60 bis 65 Jahre | 4 (4,30) | 3 (3,09) | 7 (3,68) |
66 bis 69 Jahre | 1 (1,08) | 1 (1,03) | 2 (1,05) |
70 Jahre und älter | – (0,00) | – (0,00) | – (0,00) |
Die Tabelle zeigt eine sehr ausgewogene Altersgliederung.
- Das durchschnittliche Lebensalter aller Einwohner betrug am Stichtag 25,75 Jahre, das der männlichen Einwohner war mit 26,49 Jahre um etwa 1 ½ Jahre höher als das der weiblichen mit 25,01 Jahre.
- Die älteste Einwohnerin war 69 Jahre, der älteste Einwohner 66 Jahre alt.
- Die Zahl der 60 Jahre alten und älteren Einwohner ist mit insgesamt nur 9 (3,68 % der Einwohner) auffällig gering.
- Bedrückend ist die Feststellung, dass kein Ortsbewohner 70 Jahre alt geworden ist.
Wir wollen nun noch einen Blick auf die Familienstruktur werfen, die aus der Bevölkerungsliste vom 5.4.1801 sichtbar wird.
- Die 190 Einwohner von Satzvey lebten in 44 Haushalten.
- Im Durchschnitt betrug die Personenzahl je Haushalt 4,32.
Nach der Personenzahl gliederten sich die Haushalte wie folgt:
Haushalte | Anzahl | Anteil |
---|---|---|
Einperson-Haushalte | – | 0,00 % |
Zweipersonen-Haushalte | 11 | 25,00 % |
Dreipersonen-Haushalte | 5 | 11,36 % |
Vierpersonen-Haushalte | 10 | 22,72 % |
Fünfpersonen-Haushalten | 6 | 13,64 % |
Sechspersonen-Haushalten | 6 | 13,64 % |
Siebenpersonen-Haushalten | 3 | 6,82 % |
Achtpersonen-Haushalten | 2 | 4,55 % |
Zehnpersonen-Haushalte | 1 | 2,27 % |
- In 3 der 44 Haushalte (6,82 %) lebten drei Generationen.
Als Haushaltsvorstände erscheinen:
Hausvorstände | Anteil |
---|---|
2 Ledige | 4,55 % |
2 Witwer | 4,55 % |
4 Witwer | 9,09 % |
36 Ehemänner | 81,81 % |
- In den 39 bestehenden Ehen waren nur in einer Ehe (2,56 %) die Partner gleichaltrig.
- Der männliche Partner war in 31 Ehen (79,49 %) 1 bis 16 Jahre, im Durchschnitt 6,39 Jahre älter; der weibliche Partner war nur in 7 Ehen (17,95 %) 1 bis 17 Jahre, im Durchschnitt 8,14 Jahre älter. (Bei Ehen mit hohen Altersunterschieden der Partner handelt es sich zumeist um die Zweitehe des älteren Partners.)
- 9 der 39 Ehepaare (23,08 %) waren am Stichtag kinderlos.
- 7 Ehepaare (17.95 %) hatten 1 Kind, 6 Ehepaare (15,38 %) 2 Kinder, 8 Ehepaare (20,51 %) 3 Kinder, 4 Ehepaare (10,26 %) 4 Kinder, 2 Ehepaare (5,13 %) 5 Kinder und 2 Ehepaare (5,13 %) 6 Kinder. 1 Ehepaar (2,56 %) hatte 8 Kinder.
Auffallend ist besonders, dass in den 39 bestehenden Ehen nur in 2 Ehen (5,13 %) beide Partner seit Geburt in Satzvey lebten. Von 42 der 51 zugezogenen Einwohner ließen sich die Herkunfts- (Geburts-) Orte ermitteln.
Diese Einwohner zogen zu aus 27 verschiedenen Orten, nämlich aus Antweiler, Arloff, Billig, Büllesheim, Eschweiler a. B., Euenheim (4), Euskirchen, Füssenich, Gau (Engel- oder Frohngau), Girbelsrath, Hostel (2), Iversheim (5), Katzvey, Kommern (3), Krählingen, Kuchenheim, Lessenich (3), Lorbach, Nöthen, Obergartzem, Rheinbach, Schwerfen, Ülpenich, Wachendorf, Wald (2), Wiescheid (2), und Wißkirchen (2).
Aus dem entferntest liegenden Ort, Krälingen, zog Anton Heinrichs im Jahre 1790 zu, der für sich und seine Familie den Lebensunterhalt als Schafhirt bestritt. Außer diesem waren in der Gemeinde 2 weitere Zugezogene als Kuhhirten tätig, und zwar Heinrich Kappes, 1785 zugezogen aus Antweiler, und Gerhard Winter, 1784 zugezogen aus Schwerfen.
Welche Berufe gab es in Satzvey?
Die Erwerbstätigkeit der Haushaltungsvorstände lässt sich aus der Bevölkerungsliste nur unvollständig ermitteln. Die Taglöhner bildeten die größte Gruppe. Diese Tätigkeitsbezeichnung war jedoch ungenau, wie sich auch aus anderen Unterlagen ergibt. Nach der Bevölkerungsliste waren von den 42 “Erwerbspersonen” 15 Ackerer (Ackerinnen) (34,10 %), 5 Handwerker, und zwar je einer Müller, Schneider, Schmied, Schuster und Rotgerber (11,36 %), Wilhelm Weber war Wirt (2,27 %), 16 waren Taglöhner (36,36 %) und 5 sonstige abhängig Beschäftigte (11,36 %).
Als solche erscheinen in der Liste der Pastor, zwei Kuhhirten, ein Schafhirte und der “Schuhlmeister” Wilhelm Esser, der 1808 als “Küster” verstarb. Beide Tätigkeiten dürfte er auch 1801 ausgeübt haben. Woraus 2 Witwen, die als Haushaltungsvorstände genannt sind, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder bestritten, war nicht zu ermitteln. Von den 16 in der Bevölkerungsliste erscheinenden Taglöhnern waren später 2 Ackerer und je einer Leinweber, Sattler und Zimmermann. Dies ergibt sich aus anderen Belegen. Die Anzahl der in Satzvey im Jahre 1801 vorhandenen Handwerker war somit größer, als sich aus der Bevölkerungsliste ergibt. Der Anteil der Ackerer an der Zahl der “Erwerbspersonen” war verhältnismäßig gering, was darauf zurückzuführen ist, dass sich ein großer Teil des Ackerlandes im Besitz der Burg befand.
Familiennamen
Für die jetzigen, aber auch für ehemalige Satzveyer Bürger, deren Vorfahren schon im Jahre 1801 im Ort wohnhaft waren, dürften die überlieferten Familiennamen bei der Familienforschung hilfreich sein. Die nachstehend aufgeführten Familiennamen der in Satzvey geborenen verheirateten und verwitweten Einwohner waren dort seit zwei Generationen vertreten:
- Antweiler
- Bielgen
- Breuer
- Draber
- Eßer
- Gau
- Grouven
- Hoesgen
- Hünerbach
- Kau
- Keller
- Lessenich
- Lieser
- Maus
- Müntz
- Pierth
- Roethgen
- Schick
- Schmitz
- Trimborn
- Vanderport
- Weber
- Wolfgarten
- Zingsheim
Von diesen zum Teil mehrmals vorkommenden Familiennamen waren 9 (37,50 %) Herkunftsnamen (Antweiler, Gau, Lessenich, Lieser, Roethgen, Trimborn, Wolfgarten, Zingsheim). Sieben Familiennamen (29,17 %) gingen aus Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen hervor (Breuer, Eßer, Grouven (Grafen), Hoesgen, Keller, Schmitz, Weber). Wahrscheinlich bildete sich der Familienname Bielgen (4,17 %) aus einer Kurz- und Verkleinerungsform von Sibilla (Billchen). Aus Örtlichkeitsbezeichnungen bildeten sich Hünerbach und Vanderport (8,33 %). Draber, Maus und Schick dürften Über- bzw. Necknamen gewesen sein (12,50 %). Die Familiennamen Kau und Pierth (8,33 %) lassen sich einer bestimmten Bildungsgruppe nicht zuordnen.
Als zum Zeitpunkt der Erhebung nicht ortsgebundene, nach Satzvey hineingetragene Familiennamen, enthält die Bevölkerungsliste die folgenden:
- Assenmacher
- Axer
- Behdorf
- Billig
- Bollig
- Bröders
- Coellen
- Curth
- Decker
- Dümpelfeld
- Glehn
- Hartzem
- Heinrichs
- Henseler
- Kappes
- Klant
- Mauel
- Moes
- Müller
- Nöthen
- Nücken
- Pick
- Rüth
- Schleider
- Schmitten
- Schroeder
- Schweinheim
- Sehlsterten
- Strick
- Trapp
- Vlatten
- Winter
- Wirtz
- Zoellner
Die verhältnismäßig große Zahl nicht ortsgebundener, nach Satzvey hineingetragener Familiennamen resultiert vor allem aus den zahlreichen Einheiraten nach Satzvey.
Belastungen für Satzvey: Steuerlast und Einberufung
Den an anderer Stelle bereits geschilderten Verbesserungen, die sich während der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert für die Eifeler ergaben, standen aber auch Nachteile gegenüber, wie etwa die im Laufe der Jahre immer stärker anwachsende Steuerlast und die Einberufung kriegsfähiger Männer für die französischen Armeen in nicht endenden Kriegen. Die Steuer stieg von anfangs 6 Franken Abgaben je Einwohner bis zu 30 Franken am Ausgang der Franzosenzeit. Im ganzen Rheinland wurden junge Männer von den Militärbehörden im Alter von etwa 18 Jahren jahrgangsweise erfasst und je nach dem vorgegebenen Bedarf eingezogen. Es war ein Lotteriespiel, dem sich die Wehrpflichtigen ausgesetzt sahen. Ob eine Einberufung folgte oder nicht, entschied sich nach nicht erkennbaren Kriterien. Wen aber das Los traf, zur Armee einberufen zu werden, den ließ sie nicht mehr los; es sei denn, er wurde durch Krankheit oder Verwundung dienstunfähig. Wehrgerechtigkeit war ein damals unbekannter Begriff. Für denjenigen, der Soldat werden musste, gab es kein Recht zur Dienstverweigerung. Ihm eröffneten sich aber zwei Möglichkeiten, der Dienstpflicht zu entkommen, eine legale und eine illegale.
Die legale Möglichkeit bestand darin, sich durch einen Nicht-Pflichtigen vertreten zu lassen. So mancher arme Teufel erlag in jenen Jahren der Versuchung, gegen Geld und Sachleistungen einen besser situierten jungen Mann in der Erfüllung der Dienstpflicht zu vertreten. Die andere Möglichkeit, die illegale, sich der Dienstpflicht zu entziehen, bestand in der Flucht aus den linksrheinischen Gebieten.
Über die Zahl der zur französischen Armee Einberufenen sind nur wenige Unterlagen aus Orten des heutigen Mechernicher Stadtgebietes vorhanden. Für Satzvey liegen hierüber keine Nachrichten vor. Über das Schicksal dieser jungen Menschen ist in der früheren Literatur kaum etwas zu finden. Sie wurden einfach vergessen.
Es erstaunt sehr, dass trotz der für die Kirche äußerst schwierigen Verhältnisse in der Zeit von 1804 bis 1806 in Satzvey und obwohl die Pfarrstelle unbesetzt war, das in schlechtem Zustand befindliche Kirchengebäude abgebrochen und, mit Ausnahme des Turmes, durch einen Neubau ersetzt wurde. Dies war hauptsächlich der Initiative des damaligen Bürgermeisters Heinrich Grouven zu verdanken, der auch die gesamten Bauarbeiten in die Hand nahm. Die katholische Pfarrgemeinde Satzvey hat das Grabmal des um Dorf und Kirche verdienten Mannes erhalten und neben der Kirche aufgestellt.
Exkurs: Herkunft des Hauptaltars
Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs. Erst im vorigen Jahr ist es mir, unterstützt durch Herrn Karl Evertz, gelungen, die Herkunft des Hauptaltars und der beiden unter Pfarrer Esch beseitigten Nebenaltäre der Satzveyer Pfarrkirche zu klären. Sie stammen aus der Zülpicher Marienkirche. Die Pfarrei von St. Marien wurde 1802 aufgehoben und Glocken und Inventar an andere Kirchen verteilt. Die wieder aufgebaute Kirche in Satzvey erhielt 1806 die erwähnten Altäre und eine nicht genannte Zahl von Chorstühlen. Den Empfang bescheinigten Bürgermeister Heinrich Grouven und die “Kirchmeister” Thomas Wolfgarten und Peter Axer.
Die Lebensverhältnisse in Satzvey 100 Jahre später
Wir machen eine Zeitreise ins beginnende 20. Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Lebensverhältnisse in Satzvey gegenüber denen vor 100 Jahren in mancher Hinsicht gebessert. Die günstige Entwicklung, die allerdings erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte, war vor allem eine Auswirkung des im Jahre 1865 beginnenden Eisenbahnbaues.
Vorher war Satzvey ein rein landwirtschaftlich orientiertes Dorf, in dem bäuerliche Klein- und Kleinstbetriebe, die sich teilweise am untersten Rand des Existenzminimums bewegten, überwogen. Das war nicht allein darauf zurückzuführen, dass sich, wie Lehrer Langen 1911 in der Schulchronik schrieb, das meiste Land im Burgbesitz befand, vielmehr war es auch eine Folge der bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Satzvey wie im größten Teil des Rheinlands üblichen Erbrechtsform, der Realteilung des Grundbesitzes. Als Folge von Flurbereinigungen kann man bei allen bäuerlichen Betrieben zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer beginnenden Verbesserung der Verhältnisse bei den bäuerlichen Betrieben ausgehen.
Neue Chancen und Mobilität durch Eisenbahnanschluss
Die meisten Erwerbstätigen waren aber um die Jahrhundertwende in Satzvey schon nicht mehr hauptberuflich in der Landwirtschaft beschäftigt. Mit Beginn des Eisenbahnbaues boten die neuen Verkehrsverbindungen den Ortsbewohnern verbesserte Möglichkeiten, zunächst in Euskirchen, später auch in Köln und Bonn (nach Ausbau der entsprechenden Bahnstrecken) Arbeit zu finden. Im Gegensatz zu früher war jetzt eine tägliche Heimkehr möglich.
Da sich durch den Eisenbahnanschluss und (ab 1895) durch die Euskirchener Kreisbahn die auf der Grundlage von tertiären Tonen, Sanden und Kiesen entstandene Industrie sowohl am Ort selbst als auch in den Nachbarorten günstig entwickeln konnte, fanden viele Einwohner auch in diesen Betrieben Arbeit.
Bedeutend war auch die Zahl der Erwerbstätigen, die damals bei der Post und vor allem bei der Eisenbahn im ortsnahen Bereich Beschäftigung fanden. Die Bahn war neben den Industriebetrieben der größte Arbeitgeber im Ort. Viele, die vorher unter bedrückenden Verhältnissen in der Landwirtschaft – zum Teil als Tagelöhner – ihr Brot verdienten, aber auch einige, die im Mechernicher Bergbau beschäftigt waren, wechselten schon vom siebten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts an zur Eisenbahn.
Die Zahl der verschiedenen Handwerkszweige war bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verhältnismäßig hoch. Die nachfolgend aufgeführten Handwerker waren in Satzvey vertreten: Bäcker, Friseure, Drechsler, Metzger, Schmiede (Huf- und Grobschmied), Schneider, Schuhmacher, Stellmacher und Zimmerer. Einige dieser Handwerksberufe waren sogar mehrfach vertreten, wie zum Beispiel Bäcker, Metzger, Schreiner und Schuhmacher. Vorhanden waren auch mehrere Gastwirtschaften und Kolonialwarengeschäfte.
Mancher Erwerbstätige betrieb noch Landwirtschaft als Nebenerwerb und hatte mindestens eine Kuh im Stall. Andere, die über wenig Land oder nur über etwas Pachtland verfügten, verbesserten ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Haltung anderer Haustiere, vor allem Ziegen und Schweine. Auch die Hühner- und Bienenhaltung waren damals weit verbreitet. Es gab wohl keine Familie, die nicht ein Stück Gartenland bearbeitete. Dies alles erbrachte einen oft nicht unbedeutenden Zugewinn zum bescheidenen Monatsgehalt der Angestellten und Beamten oder zur Lohntüte der Arbeiter.
Hohe Säuglingssterblichkeit
Den geschilderten Verbesserungen der Lebensverhältnisse, die bis zur Jahrhundertwende eingetreten waren, standen aber ganz allgemein immer noch manche bedrückenden Umstände gegenüber. So war wie in den vergangenen Jahrhunderten die hohe Säuglingssterblichkeit das Schreckgespenst aller Mütter. Der Verlust an Säuglingen und Kleinkindern war so hoch, dass trotz der großen Geburtenfreudigkeit die meisten Familien nur zwei oder drei Kinder hatten. Dem Kindersterben stand man überall hilflos gegenüber und sah darin vielfach eine Fügung oder Strafe Gottes. Es starben aber auch viele Frauen bei der Geburt.
Einige statistische Angaben können wir der Literatur entnehmen. Sie betreffen zwar die Stadt Euskirchen und den damaligen Kreis Euskirchen. Sie treffen aber auch zweifelsfrei auf Satzvey zu. Danach betrug im Jahre 1880 die Säuglingssterblichkeit in Euskirchen 50 %, 1883 starben im Kreisgebiet im ersten Lebensjahr sogar von 100 lebendgeborenen Kindern 73. Ein Beispiel aus der eigenen Familie: Die im Kreisgebiet wohnende Großmutter meiner Frau hatte 13 Kindern das Leben geschenkt. Davon starben 9 im Kindesalter.
Bei den einfachen Leuten war die Sterblichkeitsrate höher als in sozial besser gestellten Kreisen. Die Begüterten konnten eine Amme, die oft als Näherin beschäftigt wurde, einstellen, während die in bescheideneren oder gar ärmlichen Verhältnissen lebenden Familien auf die Kuhmilch als Ersatz für die Muttermilch angewiesen waren. Diese war jedoch in einer Zeit, als es noch keinen Kühlschrank gab und die Rindertuberkulose weit verbreitet war, ein Nährboden für Bakterien.
Auch die Wohnverhältnisse und die Ernährung spielten hinsichtlich der Kindersterblichkeit eine große Rolle. In begüterten Familien konnte einfach mehr Gewicht auf Hygiene, besonders auch bei der Wäsche, gelegt werden. Todesursachen waren außer Mangelerscheinungen vor allem Seuchen. Viele starben an ansteckenden Krankheiten, wie Tuberkulose, Diphtherie, Ruhr und Masern. Die Tuberkulose war eine Volksseuche, die vor allem die ärmere Bevölkerung betraf. Die Krankheit verlief zunächst schleichend, die Schlussphase aber war geprägt von rapidem Schwund der Kräfte (Schwindsucht). In Satzvey sind in der Zeit um die Jahrhundertwende zahlreiche Fälle von Schwindsucht bekannt.
Ein allmähliches Absinken der Erkrankungs- und Todesfälle durch die Seuchen ist im wesentlichen erst im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festzustellen. Der Rückgang der Krankheiten wurde durch das Wissen um die Ansteckung, die bessere Ernährung bei besseren Lebensmöglichkeiten, durch die besseren Wohnverhältnisse und nicht zuletzt durch den Fortschritt der Medizin mit der Entwicklung von entsprechenden Medikamenten und durch die Einführung von Schutzimpfungen erreicht.
Ein weiterer dunkler Schatten fällt auf die Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Gemeint ist die Ausbeutung der Mädchen in den mehr oder weniger herrschaftlichen Häusern, insbesondere in den Stadthaushalten.
Die Leiden der Dorfmädchen in städtischen Haushalten
Die Dorfmädchen mussten von Kind an in den elterlichen Klein- und Nebenbetrieben mithelfen, und die Bauerntöchter nahmen nach der Heirat des Bruders eine untergeordnete Stellung im elterlichen Betrieb ein. Deshalb erhofften sich immer mehr Mädchen aus der Eifel und dem Umland in den Stadthaushalten leichtere Arbeit als auf dem Land. Aber nur in einzelnen Fällen erfüllten sich ihre Erwartungen. Meistens gerieten die als städtische Hausgehilfinnen tätigen Mädchen “vom Regen in die Traufe”. Die Eifeler Schriftstellerin Sophie Lange schildert in ihrem 1996 erschienenen Buch “Küche, Kinder, Kirche… Aus dem Leben der Frauen in der Eifel” das trostlose Leben vieler Mädchen in der Stadt auf eindrucksvolle Weise. Hier einige Auszüge:
Ihre Jungmädchenträume, in der Stadt mit leichter Arbeit in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, hatten Eifelmädchen schnell ausgeträumt. Doch auch die realisierbar scheinenden Hoffnungen mußten sie begraben. Mehr als die harten Arbeitsbedingungen, die schlechte Kost und die menschenunwürdigen Unterkünfte zermürbten fehlende Anerkennung, ständige Bevormundung und das Herrschaftsgebaren der Arbeitgeber.
Besonders in einem Haushalt, in dem die Mädchen in allen Lebensbereichen einer umfassenden Abhängigkeit, Verfügungsgewalt und Kontrolle unterlagen, fühlten sie sich geknechtet und entwürdigt. Da die Arbeitgeber erwarteten, daß das Hauspersonal alles Denken auf ihre Herrschaften ausrichtete, mußten die Mädchen weitgehend ihre Identität und ihr Privatleben aufgeben. Selbst ihre Freistunden unterlagen der Autorität der ‘Gnädigen’; ohne Erlaubnis durften viele Dienstmädchen auch in ihrer Freizeit nicht ausgehen. Kontakte nach draußen wurden stellenweise rigoros verboten.
Eifelmädchen, die in einem großen Familienverband aufgewachsen waren, gerieten so in Isolation und Vereinsamung und litten unter schwersten Depressionen.
Bei ihrem Antritt der Haushaltsstelle in der Stadt hatten sich die Mädchen soziales Ansehen erhofft. Ein Mädchen, das in der Stadt in Stellung war, galt zwar etwas im Dorf, doch in der Stadt erfuhr es soziale Ächtung. ‘Wir wurden wie Menschen zweiter Klasse behandelt’, sagen ehemalige Dienstmädchen noch von ihren Dienstjahren vor dem zweiten Weltkrieg.
„Küche, Kinder, Kirche… Aus dem Leben der Frauen in der Eifel“, Sophie Lange
An anderer Stelle heißt es:
Der Arbeitstag eines ‘Mädchens für alles’ umfaßte in der Regel 14 bis 15 Stunden; aber auch 17 bis 19 Arbeitsstunden standen manchmal an. Einen freien Nachmittag gab es jeden zweiten Sonntag; zusätzlich bekamen die Mädchen Freistunden, damit sie den Gottesdienst besuchen konnten.
„Küche, Kinder, Kirche… Aus dem Leben der Frauen in der Eifel“, Sophie Lange
Bedrückend sind die Schilderungen von Frau Lange über die oft katastrophalen Unterbringungsverhältnisse und die Beköstigung der Stadtdienstboten.
Je herrschaftlicher das Haus, das heißt je größer der Standesunterschied war, desto geringer war der Nährwert der Dienstpersonal-Speisen. Reste oder minderwertige Nahrungsmittel waren gut genug für die Dienstboten. So gab es zum Beispiel spezielle Dienstbotenbutter und Dienstbotenkaffee; die Herrschaft dagegen bekam ‘gute’ Butter und ‘guten’ Kaffee. Diese Ausdrücke haben sich bis heute in unserem Sprachgebrauch erhalten.
„Küche, Kinder, Kirche… Aus dem Leben der Frauen in der Eifel“, Sophie Lange
Die vorstehend auszugsweise wiedergegebenen Schilderungen von Frau Lange treffen sicherlich auch für die Mädchen aus Satzvey zu, die damals als Dienstboten in städtischen Haushalten beschäftigt waren. Dies wird nicht zuletzt durch die vielen Erlebniserzählungen von Zeitzeugen, die in den vergangenen Jahrzehnten aus eigener Erfahrung die Verhältnisse in Stadthaushalten schilderten, bestätigt. An manche solcher Unterhaltungen mit älteren Frauen kann ich mich noch recht gut erinnern. Dass Mädchen in einigen Fällen in den Stadthaushalten bessere Verhältnisse antrafen, soll nicht verschwiegen werden. Dies traf aber nicht für die Mehrzahl der Fälle zu.
Wer sich eingehender über die damaligen Verhältnisse informieren möchte, dem sei das erwähnte sehr interessante Buch von Frau Lange, das 1996 im Helios-Verlag, Aachen, erschienen ist, empfohlen. Es ist in allen Buchhandlungen im Kreisgebiet zu erhalten.
Eine Änderung der Verhältnisse ergab sich für Mädchen aus der Eifel und dem Umland, die in den Städten Arbeit suchten, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – vor allem nach dem 1. Weltkrieg – infolge der fortschreitenden Industrialisierung. Hierdurch boten sich nämlich auch manche andere Arbeitsmöglichkeiten als im Haushalt. Bedeutend weniger Mädchen als früher entschieden sich jetzt noch für eine Beschäftigung in städtischen Haushalten. Wenn auch die Frauen es nicht schafften, aus der beginnenden Knappheit an Hausgehilfinnen in den Städten nennenswerte Lohnsteigerungen zu erwirken – die Löhne blieben bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts verhältnismäßig niedrig -, so konnten sie nunmehr aber bessere Arbeitsbedingungen als vorher fordern, und immer mehr konnten in der Stadt einen eigenen Hausstand gründen.
Kirmes – das Highlight im Jahreskalender
Am besten spiegelte sich diese Entwicklung an den Kirmestagen wider, an denen es die zu Städtern gewordenen Frauen mit ihren ganzen Familien ins heimatliche Dorf zog, um mit ihren dortigen Verwandten Kirmes zu feiern. Die älteren Satzveyer Bürger werden sich sicherlich noch gut an die Zeit erinnern können, in denen an den Kirmestagen die Verwandten aus der Stadt in großer Zahl ins Dorf strömten. Für die Satzveyer Hausfrauen waren die Kirmestage sehr anstrengend, und da die Gäste trotz der vielfach beengten Wohnverhältnisse meist über Nacht blieben, herrschte in manchen Häusern eine fast unerträgliche Enge. Es war keine Seltenheit, dass in den Wohnräumen Stroh ausgebreitet wurde, auf denen die vielen Gäste schlafen mussten. Diese nahmen aber in Erwartung der Kirmesfreuden alle Unannehmlichkeiten gerne in Kauf.
Überhaupt ist die Kirmes ein eindrucksvolles Beispiel für die großen Veränderungen im Dorf, die sich vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute ergeben haben. Die Kirmes, umgangssprachlich für Kirchweihfest, war noch bis vor einigen Jahrzehnten ein großes Dorffest, und schon Wochen vorher wurden die Häuser innen und außen auf Hochglanz gebracht. Wie für eine Hochzeitsfeier wurde reichlich gebacken und gekocht. Die Kirmes wurde am Kirmessamstag „herausgeholt“. Das Hauptvergnügen bildete sonntags das festliche Mittagsmahl in der Familie mit dem Kirmeskaffee am Nachmittag und geselliger Unterhaltung mit den Verwandten, sowie abends der Kirmesball mit Tanzmusik in den Sälen von Herbert Graf und August Hilger. Noch heute nennen ältere Menschen ein besonders gutes Essen „Kirmesessen“. Das Kirmesfest dauerte drei Tage, den Kirmessamstag nicht eingerechnet, also Sonntag, Montag und Dienstag. Vom Ende des 2. Weltkrieges an zog am Kirmesmontag nach der Messe ein langer Zug, angeführt vom Tambourkorps, gefolgt von der Freiwilligen Feuerwehr, dem Männergesangverein, dem Spiel- und Sportclub, dem Junggesellenverein und dem Kirchenchor und zahlreichen Einwohnern und Gästen zum Kriegerehrenmal, an dem der Bürgermeister und später der Ortsvorsteher zum Gedenken an die Gefallenen der Weltkriege eine Ansprache hielt und meist die Namen aller Kriegsopfer verlas. Manch ein Ehepaar hat sich auf der Satzveyer Kirmes kennengelernt.
In den letzten Jahrzehnten hat die Kirmes, wie manche andere dörfliche Veranstaltung, an Bedeutung verloren. Die Verwandten aus der Stadt werden nicht mehr wie früher erwartet, da die Bindungen der jetzigen Generation zur Heimat und den dort noch wohnenden Verwandten nicht mehr so eng sind oder aber überhaupt nicht mehr bestehen. Den Saal Graf gibt es nicht mehr und der Saal Hilger wird anderweitig verwendet. Stattdessen muss für die Tanzveranstaltungen ein Zelt ausgeliehen werden. Ein zum Vergnügen der Kinder an den Kimestagen aufgebautes Karussell, eine Schiffschaukel und die vielen Buden sucht man vergebens. Das lohnt sich nur noch in Städten.
Einiges Schöne und Gute aus der früheren Zeit hätte man sicher gerne bewahrt. Im großen und ganzen aber haben sich, das dürften die vorangehenden Beiträge gezeigt haben, die Lebensverhältnisse auch auf dem Lande im Laufe des 20. Jahrhundert ganz wesentlich gebessert, und das trotz der zwei furchtbaren Kriege, die so viel Not und Elend brachten.
Die gute, alte Zeit? Ein Fazit.
In den Beiträgen zur Dorfgeschichte wurde über die vor 100 und vor 200 Jahren in Satzvey herrschenden Lebensverhältnisse berichtet. Sie sollen aber auch einen Vergleich der früheren Lebensverhältnissen mit denen zu Beginn des 21. Jahrhunderts ermöglichen. Ein Bild beispielsweise von einem von Pferden oder Ochsen gezogenen Pflug – vor 50 Jahren kein seltener Anblick – ist sicherlich ergreifend, und wie leicht ist man geneigt, der Zeit nachzutrauern, aus der das Bild stammt, wenn man die tatsächlichen Verhältnisse in dieser Zeit nicht kennt.
So aber bedenken wir auch, dass das Bild aus der „guten alten Zeit“ auf harte körperliche Arbeit von früh bis spät hinweist. Eine „gute alte Zeit“ hat es nie gegeben, es war vielmehr eine andere Zeit mit viel mehr Nachteilen für die Menschen als heute. Dies ist unzweifelhaft die Erkenntnis, zu der man aufgrund der vorstehenden Schilderung der Lebensverhältnisse in Satzvey und der Umgebung aus mehreren Jahrhunderten kommt.
[Klaus Krüger]
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